Die ältesten Retroviren wurden in der menschlichen DNA gefunden

Genetiker haben Retroviren in der menschlichen DNA identifiziert, die vermutlich vor mehr als einer Million Jahren von unseren Vorfahren dorthin gelangten. Retroviren sind eine relativ breite Familie von Viren, die vor allem Wirbeltiere befallen. Der bekannteste und am besten erforschte Vertreter der Retroviren ist heute HIV.

Diese Entdeckung wird den Wissenschaftlern zufolge dabei helfen, herauszufinden, an welchen Krankheiten die Menschen der Antike litten und wie sie behandelt wurden. Vielleicht hilft dieses Wissen auch bei der Entwicklung von Behandlungsmethoden für HIV und andere Retroviren.

Im menschlichen Genom wurden mehr als zehn Retrovirusfragmente sowie ein vollständig erhaltenes ursprüngliches Virusgenom gefunden. Die Experten stellten fest, dass sie das alte Virus aus der menschlichen DNA „herausziehen“ und in einen infektiösen Erreger verwandeln könnten. John Coffin, Mitglied des Forschungsteams, erklärte, das Experiment sei für die wissenschaftliche Gemeinschaft äußerst interessant, da es die Untersuchung des „Verhaltens“ von Viren in der Antike, noch vor der Entstehung des modernen Menschen, ermögliche.

Endogene Retroviren können in die DNA eindringen und sie verändern, was zu verschiedenen Genmutationen führt, sowohl harmlosen als auch lebensbedrohlichen. Im menschlichen Genom wurden etwa 8 % der endogenen Retrovirusgene identifiziert. Sie alle gehören zur nicht-kodierenden DNA, also zu dem Teil, der keine „Anweisungen“ zur Proteinproduktion enthält.

Dr. Coffin und seine Kollegen verglichen und analysierten die DNA-Struktur von mehr als 2.000 Menschen in verschiedenen Ländern. Bemerkenswert ist, dass die Wissenschaftler auch die afrikanische Bevölkerung untersuchten, deren Vorfahren sich nicht mit Neandertalern oder Denisova-Menschen kreuzten. Die Studie trug dazu bei, festzustellen, dass die menschliche DNA eine viel größere Anzahl retroviraler Überreste enthält als bisher angenommen.

Durch den Vergleich der Genome verschiedenster Menschen entdeckten Wissenschaftler schließlich jene Retroviren, die in einzelnen Vertretern der Menschheit vorhanden sind. Mit solchen Ergebnissen hatten die Wissenschaftler nicht gerechnet – die Anzahl der Retroviren erwies sich als recht groß. Coffins Gruppe entdeckte nur 20 endogene Retroviren, von denen eines vollständig konserviert war, der Rest war nur in Fragmenten in der DNA vorhanden.

Anhand der fragmentarischen Abschnitte des Virus, die stark beschädigt sind und viele Wiederholungen aufweisen, können Experten nicht erklären, wie sich diese Viren beim Eindringen in den menschlichen Körper verhalten haben und welche Folgen dies hatte.

Das identifizierte vollwertige Retrovirus verfügt über alle für die Teilung notwendigen Komponenten – Gene, die für die Synthese von Proteinen in der Hülle, die Integration in die DNA der Wirtszelle und die Produktion mehrerer Kopien erforderlich sind.

Nach Angaben des Forschungsteams ist das heute identifizierte Retrovirus das zweite, das vollständig in unserer DNA vorhanden ist (das erste ist das K113-Provirus, das in der DNA von einem Viertel der Weltbevölkerung vorhanden ist).

John Coffin wies in seiner Erklärung darauf hin, dass man durch das Verständnis der Vergangenheit die Zukunft gestalten könne. Aus diesem Grund sei die Entdeckung von großer Bedeutung für die Wissenschaft und ermögliche eine eingehendere Untersuchung der Krankheits- und Behandlungsprozesse, die vor mehr als einer Million Jahren stattfanden. Sie werde auch dazu beitragen, die Behandlung moderner retroviraler Infektionen (HIV, bösartige Neubildungen des hämatopoetischen oder lymphatischen Gewebes usw.) zu verbessern.