Informationsaustausch untergräbt die kollektive Intelligenz

Die Weisheit der Vielen ist ein statistisches Phänomen: Individuelle Überzeugungen heben sich gegenseitig auf, sodass Hunderte oder Tausende von Vermutungen zu einer verblüffend genauen Durchschnittsantwort verschmelzen. Doch im Experiment informierten die Wissenschaftler die Versuchsteilnehmer über die Vermutungen ihrer Kollegen, und infolgedessen ging alles schief. Die kollektive Weisheit wurde dadurch untergraben, dass das Wissen um die Vermutungen anderer die Meinungsvielfalt einschränkte. „Selbst moderater sozialer Einfluss kann diesen Effekt hervorrufen“, betonen die Studienautoren Jan Lorenz und Heiko Rahut von der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich.

Das Phänomen wurde erstmals 1907 von Francis Galton beschrieben, der bemerkte, dass Jahrmarktbesucher das Gewicht eines Stiers schätzen konnten. Weithin bekannt wurde das Phänomen durch James Surowieckis Buch „Die Weisheit der Vielen“ (2004).

Wie Surowiecki erklärte, entfaltet kollektive Weisheit ihre Macht nur unter einer bestimmten Bedingung: Menschen müssen unterschiedliche Meinungen haben und selbstständig zu ihnen gelangen. Ohne diese ist Weisheit unmöglich, wie einige Marktblasen gezeigt haben. Computersimulationen des Verhaltens großer Menschengruppen deuten zudem darauf hin, dass für präzise Vorhersagen ein Gleichgewicht zwischen Informationsfluss und Meinungsvielfalt notwendig ist.

Das Lorenz-Rahut-Experiment ist eine Mischung aus realen Ereignissen und theoretischer Forschung. 144 Studierende wurden in isolierte Kabinen gesetzt und gebeten, die Bevölkerungsdichte der Schweiz, die Länge der Grenze zu Italien, die Zahl der Neuzuwanderer in Zürich und die Zahl der im Jahr 2006 begangenen Straftaten zu erraten. Die Probanden erhielten je nach Genauigkeit ihrer Antworten eine kleine finanzielle Belohnung und wurden anschließend erneut befragt. Einigen Studierenden wurde die Meinung ihrer Mitschüler mitgeteilt, anderen nicht.

Mit der Zeit wurden die durchschnittlichen Antworten der unabhängigen Probanden immer genauer, die Antworten der beeinflussten Schüler hingegen nicht. Die Forscher erklären dies auf drei Arten: Erstens wurden die Meinungen weniger unterschiedlich; zweitens konzentrierten sich die richtigen Antworten eher am Rand als im Zentrum; und drittens – und das ist am wichtigsten – wurden die Schüler sicherer in ihren Vermutungen.

„Meinungsumfragen und Medien tragen maßgeblich zu der Vorstellung bei, die Gesellschaft denke mehr oder weniger gleich“, schreiben die Wissenschaftler. So werde die Weisheit der Masse, die nur ein Durchschnitt der Meinungsvielfalt sei, als Beweis für Einheit wahrgenommen. Und dann erweisen sich die Geschäftsleute und Politiker, die scheinbar das bieten, was jeder braucht, als nutzlos für niemanden.