Im Laufe ihres Lebens betrügen 90 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen ihren Partner

„Etwa 75 Prozent der Schweizer haben einen festen Partner. Die meisten wünschen sich in dieser Beziehung alles: emotionale Bindung, Stabilität und sexuelle Befriedigung. Wie der Familientherapeut Klaus Heer sagt, ist Liebe monogam, der Mensch jedoch nicht. In Umfragen geben 36 Prozent der Frauen und 44 Prozent der Männer an, Sex außerhalb einer festen Beziehung gehabt zu haben“, schreibt die Schweizer Journalistin Michelle Binswanger. Einige Experten gehen davon aus, dass 90 Prozent der Männer und 75 Prozent der Frauen in ihrem Leben „nach links abdriften“. Untreue ist einer der Hauptgründe für das massenhafte Scheitern von Ehen in den westlichen Industrieländern.

Doch die entscheidende Frage ist nicht, warum wir nicht treu sein können, sondern warum das Ideal unserer Beziehung auf einer Lüge basiert. Der Lüge, dass wir einander für immer treu sein werden.

In der Liebe halten wir uns für die edlen Protagonisten von Romeo und Julia. Doch wenn es um die menschliche Sexualität geht, ähnelt die Wahrheit eher Planet der Affen. Trotz unserer romantischen Veranlagung ist unsere Spezies sexbesessen. Täglich fließen weltweit Milliarden von Dollar in die Sexindustrie. Pornografie und Prostitution, Portale für die Partnersuche fürs Leben und One-Night-Stands, Pharmakonzerne und Familientherapeuten verdienen Geld mit der Linderung unserer Krankheitssymptome, gehen aber nicht an die Wurzel. Der moderne PR-Manager, der sich vor einer Pediküre ein veganes Mittagessen bestellt, ist seinen haarigen Vorfahren viel näher, als er glauben möchte. Deshalb führen unsere kulturell geprägten Modelle so regelmäßig zum Scheitern.

„Ich habe zu viele Beziehungen scheitern sehen, weil die Partner unrealistische Erwartungen an die Treue haben. Und ich frage mich, ob Ehen nicht an Untreue scheitern, sondern an der unrealistischen Erwartung, dass Sex nur innerhalb der Ehe stattfindet“, schreibt der Autor. „Warum halten wir es für normaler, von einer kurzen monogamen Beziehung in die nächste zu eilen, als uns auf außereheliche sexuelle Begegnungen zu konzentrieren? Warum erscheint das Muster der sogenannten ‚seriellen Monogamie‘ angemessener, als sich vom Dogma der Monogamie zu verabschieden?“ „Darwin definierte das Standardmodell der menschlichen Sexualität, das sich im Laufe der Evolution entwickelt hat, wie folgt: Ein Mann ist genetisch dazu veranlagt, seinen reichlich vorhandenen Samen so weit wie möglich zu verteilen, während eine Frau sorgfältig ihre kostbaren Fortpflanzungsorgane bewacht und schließlich den Mann akzeptiert, den sie für die Kindererziehung für geeignet hält. Ein Mann muss auf Untreue verzichten, um seine Energie nicht für die Kinder anderer zu verschwenden, und eine Frau möchte sicherstellen, dass ein Mann seine Ressourcen nicht mit anderen Frauen teilt“, sagt Binswanger. Ihrer Ansicht nach weisen die Evolutionspsychologen Christopher Ryan und Casilda Jeta in ihrem Buch „Sex at Dawn“ jedoch darauf hin, dass diese Muster auf eine kulturelle Anpassung an die sozialen Bedingungen patriarchalischer Gesellschaften hindeuten.

Es gibt Belege dafür, dass die Vorfahren des modernen Menschen auch mit anderen Hominiden kopulierten. Dies spiegelt sich sogar in unserem Genom wider, das bis zu 4 % Neandertaler-DNA enthält. Daraus folgt, dass solche Beziehungen zur Entstehung von Kindern führten, die in prähistorischen Gemeinschaften aufwuchsen und aufgenommen wurden. Wenn unser genetisches Programm tatsächlich wie oben beschrieben funktionierte, hätten gemischte Hominiden kaum eine Überlebenschance.

Der Autor zitiert Ryan und Jeta und sagt, die Situation habe sich mit dem Aufkommen der Sesshaftigkeit geändert. „Die Konzepte von Besitz, Reichtum und Erbe kamen auf. Um sicherzustellen, dass die Früchte ihrer harten Arbeit nur ihren leiblichen Kindern zugutekamen, mussten Männer dafür sorgen, dass ihre Frauen keinen Geschlechtsverkehr mit anderen hatten“, schreibt der Autor. „Mit dem Christentum kam ein starres moralisches Korsett, das die weibliche Sexualität völlig einschränkte.“

„Dass Frauen bei der Partnerwahl schon immer vorsichtiger waren als Männer, weil sie immer das Risiko einer Schwangerschaft hatten, sagt nichts über ihre Sexualität aus. Und die Erfindung der Antibabypille und die Emanzipation revolutionierten das Sexualverhalten der Frauen“, schreibt die Autorin. Laut dem Sexualwissenschaftler Ulrich Clement sind die Unterschiede im Sexualverhalten zwischen den Geschlechtern nahezu auf Null reduziert worden.

Unser Wunsch nach einer langfristigen und engen Partnerschaft ist letztlich der Wunsch nach Familie und einem Zuhause. Ein normaler menschlicher Wunsch. Vielleicht wäre es sinnvoll anzuerkennen, dass Sexualität in gewissem Maße auch unser Zuhause ist und dass wir das Recht haben, in Übereinstimmung damit zu leben.